Gedenkfeier 09. November 2022 – Text der Ansprache von Michael Lingenthal

Wir gedenken hier im Jahr des Stadtjubiläums. Ohne die nationalsozialistische Politik und die Schuld der Deutschen würde die Synagoge oberhalb dieser Gedenktafel noch stehen, wäre die Honnefer jüdische Gemeinde selbstverständlicher Teil des Stadtjubiläums. Der Verlust für das Leben dieser Stadt ist weitaus höher als „nur“ der Verlust der Synagoge.

Ein Zitat von Konrad Adenauer aus einem Brief vom 23. Februar 1946 zeigt nicht bloß die Einstellung Adenauers, sondern räumt auch mit dem „wie haben nichts gewusst“ auf, welches auch meine Jugend in den 60er Jahren prägte. Konrad Adenauer schrieb:
„Die Judenpogrome 1933 und 1938 geschahen in aller Öffentlichkeit. … Man kann also wirklich nicht behaupten, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst habe, dass die nationalsozialistische Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz gegen das Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit verstießen.“

Doch es folgte fast überall und fast durchgehend die Verdrängung der NS-Zeit – in beiden deutschen Staaten. Man wollte nichts wissen von der „braunen Vergangenheit“. Man musste überleben und das Gemeinwesen neu aufbauen.
Wie sehr ganz offensichtlich noch die feindliche Einstellung zu Juden präsent war, wurde mir jüngst deutlich, als ich Unterlagen eines Juden las, der um seine Entschädigung kämpfte und schließlich erst Mitte/Ende der 50er Jahre mit anwaltlicher Hilfe wenigstens zum Teil Recht bekam. „Aus Anlass der Kristallnacht“, so heißt es wörtlich in dem amtlichen Schriftstück, „soll es … zu Zerstör-ungen gekommen sein.“ Und es schließt sich die Bemerkung an, dass dafür kein Beweismittel vor-gelegt werden konnte. Wie auch? frage ich mich. Der Tenor des Schriftsatzes ist „eine unglaub-würdige Forderung“. Und da sind wir bei einem auch noch heute verbreiteten Vorurteil gegenüber den Juden „Denen geht es nur ums Geld“. Es sind die alten Vorurteile, die wieder Gehör finden.

Wir erleben einen breitgefächerten, zunehmenden Antisemitismus. Er reicht von dumpf rechts, bis zu extrem links, neu ist der Antisemitismus aus dem islamischen Extremismus. Aber der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft, sei es aus Vorbehalten gegenüber Israels Politik oder aus Gedankenlosigkeit/Unkenntnis der Geschichte, den gibt es auch. Es ist die latente Gefahr des „ , aber“. (Komma Aber). Wir hören dann, natürlich habe ich nichts gegen die Juden, aber … und dann folgen die Vorurteile, die es schon früher gab. Mammon, Raffsucht, Gewinnsucht, Dominanz in Kunst und Kultur etc. etc.

Viele dieser Vorurteile basieren auf der Unkenntnis. Gegen die Verdrängung, gegen die Unkenntnis gab es zu Erinnerung und Aufarbeitung in dieser Stadt Initiativen: Adolf Nekum – „Honnefs Kinder Israel“ zur Stadtgeschichte, Richard Vreden – Gedenktafel vor der wir stehen, Elmar Klein – Mit-initiator der Stolpersteine; Informationstafeln des Heimat- und Geschichtsvereins ; Themen-führungen in der Stadt und in der Stiftung-Bundeskanzler-Adenauer-Haus, bemerkenswert der Einsatz der weiterführend Schulen: Die Fahrten der Geschichts-AGs z.B. nach Auschwitz und nach Birkenau.

Und dennoch: Große Unkenntnis über das jüdische Erbe Honnefs herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung.
Und deshalb hat sich aus der Mitte der Bürgerschaft die Initiative „Erinnerung und Gegenwart jüdischen Lebens in Bad Honnef“ gebildet, seit dem 24. November 2021 ein vom Bürgermeister proklamiertes offizielles Projekt der Stadt. Das Projekt baut auf die wertvolle Arbeit der vorher genannten Initiativen zur Aufarbeitung und Erinnerung auf.

Das Projekt „Erinnerung und Gegenwart“ hat die Zielsetzung, der Erinnerung an die Honnefer Jüdinnen und Juden mehr Aufmerksamkeit zu geben, zugleich das Leben der jüdischen Mitbürge-rinnen und Mitbürger bis in die aktuelle Gegenwart darzustellen und zusätzlich damit ein bürger-schaftliches Signal gegen Antisemitismus zu senden.

Zu „Erinnerung“ werden in einer Zeitleiste Personen, Ereignisse und Orte beispielhaft für die jüdi-sche Geschichte Honnefs auch audiovisuell aufgearbeitet. Dazu gehört auch die digitale Präsenz der „Stolpersteine 2.0“, Jugendliche selbst gestalten dieses Teilprojekt. In allen Arbeitsgruppen wir¬ken jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger mit.

Die Gegenwart jüdischen Lebens bildeten Kunst und Kultur als integrative Teile des Stadtjubiläums ab. Zwei Ausstellungen im Kunstraum und eine im Rathaus, zwei Musikbeiträge beim Stadtfest brachte die Arbeitsgruppe „Kunst und Kultur“ unter aktiver Mitwirkung hier lebender Juden ein.

Doch „Kunst und Kultur“ genügen nicht zur Gegenwart. Dem Antisemitismus muss öffentlich ent-gegnet werden, auch und gerade bei dieser Gedenkstunde.

Wollen wir hinnehmen, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland sich verstärkt unsicher fühlen? Dass sie die Öffentlichkeit meiden? Über ein Verlassen Deutschlands verstärkt nachdenken?

Warum werden Freunde von mir wegen Siedlungspolitik in Israel angegangen werden, nur weil sie Juden sind? Was haben hier lebende Juden damit zu tun?
Zum Antisemitismus gehört auch, dass deutsche Jüdinnen und Juden für die Siedlungspolitik Isra-els verantwortlich gemacht und mit Verurteilungen überzogen werden, obwohl sie nichts mit „Bibis Politik“ am Hut haben.

Was können wir mit einem Gedenken am 9. November erreichen? Zwei Gedankenanstöße:
Interesse für die ganze Geschichte dieser Stadt; Einsatz „Wider den Schlussstrich!“
Lassen wir uns nicht einreden, dass Aufarbeitung und Erinnerung dazu dienen, dass sich die Deut-schen ewig schuldig fühlen. Die Nachkriegsgeborenen haben keine Schuld, aber sie -wir- tragen Verantwortung auch für das Furchtbare, was im deutschen Namen geschah. Um Elmar Klein, der wesentlich zu den Stolpersteinen in Honnef beigetragen hat, zu zitieren: „Es geht nicht um Abrech-nung. Vergangenheit ist nicht nur Bürde und übertragene Schuld, sondern sollte uns die Einsicht für unser gegenwärtiges Handeln und den Blick für die Zukunft schärfen.“

Diese Gedenkstunde, wie auch andere öffentliche Aktionen so z.B. der heutige Mahngang, sind Er-innerung, Mahnung und offensives Eintreten gegen Antisemitismus zugleich.

Deutschland hat von 1933 bis 1945 versucht ein Volk zu vernichten, eine Religion zu tilgen.
Juden haben in den KZ ihren Glauben an Gott verloren. Juden haben auch im Angesicht des bevorstehenden Todes ihren Glauben an Gott bewahrt.
Hören wir zum Abschluss, wie die Thora uns Hoffnung gibt, eine Hoffnung, die Juden und Christen verbindet. Wir hören aus Jesaja 25, Vers 8 in der Übersetzung von Rabbiner Ludwig Philippson:
„Er verschlingt den Tod auf ewig, er nimmt, der Herr, der Ewige, die Tränen von jeglichem Angesichte und schafft seines Volkes Schmach von der ganzen Erde, denn der Ewige sprach`s.“

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